A. Neidel, B. Fischer, M. Giller, and T. Gädicke

Werkstofftechnische Schadensanalyse des gebrochenen Ringes einer Stopfbuchse: Wasserstoffversprödung? Mehrdeutige Fraktographie

Metallurgical Failure Analysis of the Fractured Ring of a Gland Seal: Hydrogen Embrittlement? Factography can be Ambiguous

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Festgestellt wurde der Bruch eines Stopfbuchsenrings eines Gaskompressors. Der Schaden wurde aufgedeckt, da Wasser in das Gassystem eindrang. Der Anbieter hatte anscheinend niemals Probleme mit der entsprechenden Baugruppe. Vor Ort gemachte Aufzeichnungen zeigen laut Hersteller nichts Außergewöhnliches. Der entsprechende Erdgasverdichter wird allerdings lediglich im intermittierenden Betrieb eingesetzt, während die Baugruppe ursprünglich, laut Anbieter des Verdichters, für einen mehr oder weniger dauerhaften Betrieb ausgelegt war.

Es wird angenommen, dass im entsprechenden Ring an der Befestigungsbohrung, einer Stelle mit minimaler Wandstärke, durch Wasserstoffversprödung Oberflächenrisse entstanden sind, die letztendlich aufgrund von Umfangsspannungen durch das Aufschrumpfen des Stopfbuchsenrings einen verzögerten Bruch verursachten. Der Bruch wurde durch ein hartes und relativ sprödes (Vergütungs-)Gefüge mit Mangansulfidzeilen und Carbidausscheidungen an den Korngrenzen als begünstigende Faktoren gefördert. All dies führte schließlich zu sprödem Versagen durch einen Gewaltbruch des entsprechenden Rings durch überwiegend transkristalline Terrassenbruchbildung entlang der MnS-Zeilen, wo die Umfangsspannung eine Dekohäsion an der Grenzfläche MnS-Einschlüsse/Matrix hervorrief. Diese Bruchmorphologie ist für einen Terrassenbruch typisch. Faktisch wurde eine Bruchmorphologie gemischter Natur vorgefunden. Im überwiegend transkristallinen Gewaltbruch lagen entlang den durch Ausscheidungen von Sekundärcarbiden versprödeten Korngrenzen verstreut Bereiche eines interkristallinen Bruchs vor – ein in rostfreien hartmartensitischen Vergütungsstählen häufig beobachteter Zustand.

Es konnten keinerlei Anzeichen für eine zyklische Rissausbreitung, d. h. einen Ermüdungsbruch, gefunden werden. Die Abmessungen wurden durch das untersuchende Labor nicht überprüft. Die Hypothese von Abweichungen bei den Abmessungen als ein Faktor, der zum Ringbruch beigetragen hat, kann daher im Rahmen dieser Untersuchung weder belegt noch ausgeschlossen werden. Sie wird hier lediglich der Vollständigkeit halber genannt und als Empfehlung an den Anbieter der Baugruppe und den Hersteller der Stopfbuchse gerichtet, sich diesem Aspekt etwas eingehender zu widmen.

Schließlich lagen die Festigkeitswerte des Stahls über den Spezifikationswerten, wodurch die Anfälligkeit der Mikrostruktur für einen spröden Gewaltbruch durch überwiegend transkristallinen Terrassenbruch und teilweise interkristalline Spaltung wahrscheinlich verstärkt wurde. Dies führte zudem zu einer erhöhten Neigung des Stahls für ein Versagen durch Wasserstoffversprödung.

Aus gestalterischer Sicht ist das gemeinsame Auftreten eines durch MnS-Zeilen empfindlichen Gefüges bei gleichzeitig zu hohem Festigkeitswert und dem Aufschrumpfen der Stopfbuchsendichtung für diese Anwendung ungeeignet, insbesondere dann, wenn sich durch Korrosion Wasserstoff bilden und den Werkstoff weiter verspröden kann. Es wird dringend empfohlen, zukünftig sowohl über den Spezifikationswerten liegende Festigkeiten durch, was bei solchen Anwendungen üblich ist, ausreichend hohe Anlasstemperaturen und eine entsprechende Haltezeit als auch Abweichungen bei den Abmessungen zu vermeiden, die zu erhöhten Umfangsspannungen in dieser Presspassung führen können. Noch besser wäre es, bei dieser Konstruktion gänzlich von einer Schrumpfpassung abzusehen. Die Autoren gehen davon aus, dass die Stopfbuchse zwischenzeitlich umgestaltet wurde und eine Schrumpfpassung von Stopfbuchsenringen nicht mehr erforderlich ist.

Bibliographie
A. Neidel, B. Fischer, M. Giller, and T. Gädicke (2020). Metallurgical Failure Analysis of the Fractured Ring of a Gland Seal: Hydrogen Embrittlement? Factography can be Ambiguous. Practical Metallography: Vol. 57, No. 3, pp. 199-217.
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ISSN 0032-678X