Prof. Dr. Michael Pohl

Der DGM Fachausschuss Metallographie in der Wendezeit

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Beitrag des Geschichtsausschusses in der DGM zur Werkstoffwoche 2015 in Dresden.

Will man das Wunder der deutschen Wiedervereinigung einigermaßen begreifen, dann muss man sich zunächst die über 45 Jahre im wahrsten Sinne fest betonierte Trennung zwischen BRD und DDR vergegenwärtigen. Man hoffte irgendwie auf eine Wiedervereinigung - irgendwann - aber niemand hatte eine Vorstellung, wie das geschehen könnte.
In dieser Zeit wurde ich mit der Vorbereitung der Metallographie-Tagung 1988 in Garmisch-Partenkirchen und von da an mit der Leitung des DGM FA Metallographie betraut. Die Metallographie war in dieser Zeit sehr solide aufgestellt und erfreute sich großen Zuspruchs. Unablässig wurden interessante Themen aufgegriffen und neue Arbeitskreise gebildet (Abb. 1), die große Eigendynamik entwickelten. Da konnte man sich ruhig auch um etwas ferner liegende Themen kümmern. Seit Studententagen war ich stolzer Besitzer des „Schumann: Metallographie“ (Abb. 2). Leider war ich 1969 Opfer der enormen Mehrwertsteuererhöhung von 4,76 auf 5,21 % geworden (Abb. 3), was man heute mit nostalgischer Wehmut betrachtet. Jedenfalls beschloss ich, Herrn Professor Hermann Schumann aus Rostock zur Metallographie-Tagung nach Garmisch-Partenkirchen einzuladen und war höchst erstaunt, dass ich postwendend seine Absage erhielt, mit der Begründung: „Ich gehöre nämlich nicht dem ausgewählten Stamm der sog. ‘Reisekader‘ an“ (Abb. 4). Ich hatte keinerlei Erfahrung im Umgang mit der DDR, hatte aber den Eindruck, dass diese Eiseskälte des kalten Krieges eigentlich überwunden sein müsste. Es folgten Telefonate mit Behörden und Ministerien und schließlich ein Antrag an den „Inner-deutschen Ausschuss“ mit dem Ergebnis, dass Prof. Schumann mitteilte, sein Reiseantrag sei aus nicht klaren Gründen nochmals aufgegriffen worden und er habe nun eine Reiseerlaubnis erhalten, aber ein „Abstecher“ nach Bochum werde mit Sicherheit nicht genehmigt, „die Verhältnisse sind nun mal so…“. (Abb. 5)
So konnte er auf der Metallographie-Tagung 1988 in Garmisch-Partenkirchen, der mit über 550 Teilnehmern meistbesuchten aller Metallographie-Tagungen, einen Plenarvortrag zu seinem intensivsten Forschungsgebiet halten: „100 Jahre Martensitforschung“. Zwar sah man ihm die Anstrengung an, - die jahrzehntelange Auseinandersetzung mit dem DDR-Regime hatte Spuren hinterlassen -, überwältigend war aber seine Freude an der Begeisterung, die ihm entgegengebracht wurde von der unendlichen Zahl der Metallographinnen und auch einigen Metallographen, die endlich den Verfasser des Zentralwerks ihrer Ausbildung kennenlernen wollten und viele Fragen an ihn hatten. Leider verstarb er am 07.02.1989, noch vor seiner Emeritierung. So war es Erhard Hornbogen und mir eine Ehre, gemeinsam mit seinem Schüler und Nachfolger Gunter Benkißer, in Rostock ein Schumann Kolloquium anlässlich seines 70. Geburtstags in Anwesenheit seiner Familie und vieler seiner Freunde und Verehrer abzuhalten (Abb. 6).
 
DGM Materialforen in den neuen Bundesländern
Die DGM stellte sich den ostdeutschen Fachkollegen mit sogenannten „Materialforen“ vor. Ich wurde als DGM Pionier im September 1990 nach Freiberg (Abb. 7) und im April 1991 nach Magdeburg (Abb. 8) geschickt, in Magdeburg aber eher wie ein Rheumadecken-Verkäufer aufgenommen. Man hatte entsprechende Erfahrungen mit den „Wessis“ gemacht. Es war eine schwierige Zeit, vor allem was die Personen-und Instituts-Evaluierungen betraf.
 
Zwei Metallographieausschüsse in Deutschland
Die Erkenntnis, dass nun zwei deutsche Metallographie-Ausschüsse parallel existierten (Abb. 9), hatte zunächst einmal etwas Beklemmendes. Der „FA Metallographie und Plastographie der Kammer der Technik“ hatte eine 10 Jahre ältere Tradition und eine 10 Jahre längere Tagungsreihe. Vor allem aber gab es keine gewachsenen, persönlichen Beziehungen zwischen den Mitgliedern dieser Ausschüsse, auf die man hätte aufbauen können. So blieb mir nur, mich zur nächsten Sitzung des KdT-Metallographieausschusses am 17. Oktober 1990 einladen zu lassen. Die Gespräche waren von Zurückhaltung geprägt. Als hilfreich erwiesen sich die Pausen, die für Einzel- und Gruppengespräche genutzt wurden. Das Ergebnis war der auch in anderen Kreisen übliche „Anschluss West“. Vierzehn Sitzungsteilnehmer meldeten sich spontan als Mitglieder des DGM-FA Metallographie an.
Während die Leitung des DGM Metallographieausschusses routinemäßig wechselte, befand sich die Leitung des KdT-Ausschusses in wenigen festen Händen, zuletzt unter der kommissarischen Leitung von Dr. Hans-Ludwig Steyer, Freiberg, da Herr Dr. Schindel, Magdeburg, inzwischen Mitglied des Landtags Sachsen-Anhalt geworden war. Die damit verbundenen Aufgaben der Neuorientierung ließen ihm keine Freiräume für „Metallographie“. Es ist in besonderem Maße dem nachdrücklichen Engagement von Frau Dr. Elfrun Schick aus Magdeburg zu verdanken, dass der „Fachausschuss Metallographie und Plastographie in der Kammer der Technik 1958 – 1991“ in einer Broschüre der DGM Informationsgesellschaft festgehalten wurde.[2] Frau Dr. Schick wurde unterstützt durch Prof. Dr. Manfred Beckert, Magdeburg, Prof. Dr. Wolfgang Bernhardt, Berlin, Jutta Paetznick, Rackwitz, Helmuth Roß, Rostock, Dr. Ursula Schläfer, Dresden, Prof. Dr. Dietrich Schulze, Dresden, Dr. Jörg Trempler, Merseburg und Dr. Horst Waschull, Rathenow, die dankenswerterweise ihre Erinnerungen zusammengetragen haben.
 
Regionale Metallographiekreise
Es war wohl auch eine Folge der schlechten wirtschaftlichen Konjunktur in der Wendezeit, dass viele der DDR-Betriebe abgewickelt wurden und ihre Produktion in den Westen verlagert wurde. Die weiter produzierenden Firmen, die übernommen worden waren, entwickelten sich zu Zweigwerken. Viele Metallographinnen und Metallographen verloren ihre Arbeit oder zumindest ihre Reisefähigkeit. Andere existenzielle Prioritäten rückten in den Vordergrund. Dies aufzufangen war die Aufgabe der regionalen Metallographiekreise.
• Nord (Rostock-Hamburg) [3]
• Mitte (Berlin-Brandenburg) [4]
• Süd (Sachsen, Thüringen) [5
 
Fazit
Der „35. Erfahrungsaustausch“, die traditionelle Jahresveranstaltung der Metallographen Ost, wurde mit Unterstützung der DGM durchgeführt und hatte Referenten und Teilnehmer von beiden Seiten (Abb. 10). Die rund 100 Teilnehmer boten einen familiären Rahmen und dies führte zur Intensivierung der Kontakte. Ich erinnere mich, dass Petz dazu aufrief, „Auerbachskeller“ hinsichtlich der Saale/Unstrut-Weine trockenzulegen, ich entsinne mich aber nicht, ob wir es geschafft haben. Verabredungen wurden für die ein halbes Jahr später stattfindende Metallographie-Tagung in Friedrichshafen getroffen. Für viele Ost-Metallographen war dies die erste größere Reise in den Westen und die DGM half, wo sie konnte. Um den Aufwand der Anreise für die Kolleginnen und Kollegen der neuen Bundesländer zu erleichtern, aber auch um die Neugier der Westler zu befriedigen, wurde unmittelbar nach der Wende beschlossen, die nächste Metallographie-Tagung 1992 in Dresden abzuhalten. Das „Hygienemuseum“ war ein zweckmäßiger Ort, die Stadt beeindruckte durch Altes, Neues und Zerstörtes. Wir sahen den Zwinger, das Blaue Wunder, das Elbsandsteingebirge und das gigantische, aus Mitteln des Aufschwungs Ost finanzierte, automatisch vom Sonnenstand gesteuerte und verfahrbare Gewächshaus zum Schutz des Kamelien-Baumes von August dem Starken im Park des Schlosses Pillnitz. Auch hier war die
Neuzeit angekommen.
 
Literatur
[1] M. Pohl, DGM-Fachausschuss Metallographie Prakt. Met. 27 (1990) S. 369/370
[2] Fachausschuss Metallographie und Plastographie in der Kammer der Technik 1958 – 1991
[3] Arbeitsgemeinschaft Metallographie NORD, Prakt. Met. 27 (1990) S. 638
[4] Metallographen-Treffen Berlin, Prakt. Met. 27 (1990) S. 537
[5] Regionale Metallographiekreise, Prakt. Met. 31 (1994) S. 429/430
Bild des Benutzers Michael Engstler
Erstellt
am 16.09.2016 von
Michael Engstler